Ausgerechnet!

Inhaltsverzeichnis

Der Anlass

In der Reihe Kulturzeit des Senders 3Sat wurde am 15.05.2020 zur Mbembe-Debatte eine rhetorische Figur verwendet, die nahelegt, dass eine Person mit einer postulierten ersten Eigenschaft nicht über eine zweite Eigenschaft verfügen könne, weil diese mit der ersten nicht kompatibel wäre, wie nahegelegt wird.

Grundsätzlich ist diese Argumentation in Form der Frage bekannt, immer dann, wenn der freundliche Nachbar seine Frau umgebracht hat: „Aber der Herr Müller ist doch so ein friedlicher, feinfühliger Mensch, wie konnte der seine Frau umbringen?“ Die Frage zielt auf Erkenntnisgewinn, und alsbald setzen die Erinnerungen ein: „Wisst ihr nicht, das Strassenfest damals und wie der Müller da ausgetickt ist…?“ Es ist die verdrängte Erinnerung, die zurückehrt und den Fragestellern schließlich die Einordnung der Tat des Herrn Müller ermöglicht.

Rhetorische Figuren dagegen dienen weniger dem Erkenntnisgewinn. Sie sollen einen Schluss nahelegen, ohne zu argumentieren. In diesem Fall handelt es sich um eine Analogiebildung, durch die ausgeschlossen werden soll, was offensichtlich ist.

Im Folgenden zitiere ich die Formulierung in der Kulturzeit und lasse fiktive Bespiele folgen, die zeigen sollen, wie wenig tauglich diese Analogiebildung ist.

Das Zitat

Ausgerechnet jemand, dessen ganze Arbeit um die Kritik an Unterdrückung kreist, soll sich antisemitischen Denkens schuldig machen?

Mbembe, jüdischer Gott „Phantasma“, Judentum „narzisstisch“: On the postcolony


Ausgerechnet jemand, der sein ganzes Leben als Reformsozialist gewirkt hat, soll sich antisemitischen Denkens schuldig machen?

H.G. Wells zum Holocaust:“Diese Rasse hat eben etwas an sich, womit sie sich allgemein unbeliebt macht.“


Ausgerechnet jemand, dessen ganze Arbeit um die Verbesserung der Verhältnisse der Arbeiterklasse kreist, soll sich antisemitischen Denkens schuldig machen?

Karl Marx: „Zur Judenfrage“


Ausgerechnet jemand, dessen ganze Arbeit um die Befreiung der Religion kreist, soll sich antisemitischen Denkens schuldig machen?

Martin Luther: „Von den Juden und ihren Lügen“


Ausgerechnet jemand, dessen ganze Arbeit um Bildung und Aufklärung kreist, soll sich antisemitischen Denkens schuldig machen?

Voltaire über die Juden: „Ihr übertrefft sämtliche Nationen mit euren unverschämten Märchen, eurem schlechten Benehmen und eurer Barbarei. Ihr habt es verdient, bestraft zu werden, denn das ist euer Schicksal.“


Ausgerechnet jemand, dessen ganze Arbeit um die Aufklärung und den ewigen Frieden kreist, soll sich antisemitischen Denkens schuldig machen?

Immanuel Kant: “ „Die Euthanasie des Judenthums ist die reine moralische Religion…“


Ausgerechnet jemand, dessen ganze Arbeit um die Wissenschaftslehre kreist, soll sich antisemitischen Denkens schuldig machen?

Johann Gotlieb Fichte über den Nationalstaat: „Juden; entweder verschmolzen, oder ausgewandert. Sie besitzen einen höchst intereßanten Staat in Palästina. Denn andere europäische Nationen sind nachgefolgt. Die gebliebenen sind alle Mitglieder der neuen Kirche.“


Ausgerechnet jemand, dessen ganze Arbeit um die Kritik an Unterdrückung kreist, soll sich antisemitischen Denkens schuldig machen?

Georg Wilhelm Fiedrich Hegel: „Der Löwe hat nicht Raum in einer Nuß, der unendliche Geist nicht Raum in dem Kerker einer Judenseele“


Ausgerechnet jemand, dessen ganze Arbeit um die Erneuerung der Musik kreist, soll sich antisemitischen Denkens schuldig machen?

Richard Wagner: „Das Judenthum in der Musik“


Ausgerechnet jemand, dessen ganze Arbeit um die Verbesserung der Produktionsmethoden, die Einführung des Acht-Stunden-Tages und erheblich höhere Löhne kreist, soll sich antisemitischen Denkens schuldig machen?

Henry Ford: „The International Jew, the World’s Foremost Problem“


Hinweise

Einige Zitate sind einem Artikel von WELT1 entnommen. Zur „Sprache der Judenfeindschaft“ siehe Monika Schwarz-Friesel2. Eine Darstellung des Antisemitismus der Aufklärung findet sich im ersten Kapitel dieses von Samuel Salzborn herausgegebenen Bandes3.


  1. https://www.welt.de/kultur/history/article108335884/Die-grossen-Aufklaerer-waren-oft-Judenhasser.html  

  2. https://www.linguistik.tu-berlin.de/fileadmin/fg72/PDF/Rabbiner-Brandt-Vorlesung-2013-MSF.pdf 

  3. http://www.salzborn.de/txt/nbkk-bd2.pdf