Die Mbembe-Debatte im Spiegel der Twitter-Kriege

Die Kritik an „Diese Frau ist krank“

Am 18.05.2020 veröffentlicht der Historiker Joseph Croitoru einen Tweet, in dem er eine Äußerung der Journalistin Mirjam Fischer über eine dritte Beteiligte, Frau Assmann, kritsiert. Mirjam Fischer hatte über Frau Assmann geschrieben: „Diese Frau ist krank“.

Croitoru charakterisiert Fischer als „Verteidigerin“ „Israels“, was auch immer daran anrüchig sein mag, verteidigt Assmann als „Kritikerin der israelischen Besatzung“ (was immer daran nicht anrüchig sein mag), und vermerkt, es ginge um Mbembe. Anchließend unterstellt er Fischer, mit der Wortwahl „krank“ an ein antisemitisches Stereotyp anzuschließen, was besonders erhellend ist, weil sich Mirjam Fischer gegen Antisemitismus einsetzt ()siehe z.B. hier: https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/260341/antisemitismus-bei-muslimen)).

Frau Assmann, eine in den sozialen Netzwerken radikal auftretende Antizionistin, ist nicht dafür bekannt, jüdischer Herkunft zu sein. Und damit steht die Frage, welche Bedeutung antisemitische Stereotype haben, wenn sie gegen Nicht-Juden verwendet werden. Ein altes Stereotyp lautet, Juden wären geizig. Geiz ist allgemein negativ konnotiert, und würde jemand behaupten, dass der Papst geizig sei, hätte er ihn in der Logik von Croitoru antisemitisch beleidigt. Sagen wir es einmal so. Croitoru hat offenbar keine Ahnung von Antisemitismus. Dass die Behauptung, Frau Assmann wäre krank, etwas drastisch ist, steht außer Frage, ebenso wenig wie die Tatsache, dass solche Äußerungen wie „Du bist krank“ in Deutschland tägliches Allgemeingut sind, mit dem abweichendes Verhalten in Wort oder Tat beurteilt wird (und ich bin froh, dass das in meiner Jugend noch gebräuchliche „Du bist doch krank im Kopf“ etwas aus der Mode gekommen ist).

Aber was deutet Croitoru mit dem Hinweis auf Mbembe an? Sehen uns die wie eine Matroschka verschachtelten Tweets von innen nach außen an.

Dieser Tweet ist der Ausgangspunkt.

Dieser Account (und weitere, denn sie kommen und gehen, die Poster bleiben gleich) postet regelmäßig antisemitische Tweets. In den Tweets werden Israel das Judentum abgesprochen und Israelis und deren Unterstützern unterstellt, wie Nazis zu sein, was der Verfasser auch hier mit dem Begriff National-Zionist (auch gern Na-Zi oder Nazi, derzeit auch hier und da auf Demonstrationen gegen die Covid-19-Eindämmungsmaßnahmen behauptet) verdeutlicht. Meron Mendel vom Anne Frank-Haus in Frankfurt und Josef Schuster vom Zentralrat der Juden in Deutschland wird un unterstellt, rechts, braun und Nazi zu sein. Zugleich wird das Vorhandensein von Antisemitismus bestritten und Antisemitismus selbst umdefiniert.

Meron Mendel reagiert mit Ironie auf diese Unterstellungen.

Und wird von Frau Assmann angegriffen. Die Behauptungen von Frau Assmann sind eine Reaktion auf die ironische Zurückweisung mit dem üblichen Vokabular der Dame , und sie enthalten keine Distanzierung vom Inhalt des Ursprungstweets. Sie sattelt auf die unsäglichen Behauptungen auf und ergänzt, es handelt sich zweifeslfrei um eine Unterstützung der Ursprungsaussagen.

Hier der Vollständigkeit halber der im vorangehenden Screenshot abgeschnittene Tweet:

An dieser Stelle folgt die Kritik von Frau Fischer auf den Angriff von Frau Assmann auf Meron Mendel zur Unterstützung des ursprünglichen rabiat antisemitischen Tweets eines Fakeaccounts.

Dass die in legerer Form geäußerte Kritik von Mirjam Fischer an Assmann gerechtfertigt ist, sollte an dieser Stelle klar sein. Nur nicht Croitoru. Sehen wir seinen Tweet noch einmal an.

Der erste Link im Tweet von Mirjam Fischer, und nun wird es Zeit für eine Zusammenfassung. Ein antisemitischer Fakeaccount rückt Meron Mendel und Mirjam Fischer in die Nähe von Nazis, behauptet, es gäbe keinen Antisemitismus gegen Juden, und Antisemitismus richte sich gegen andere als Juden. Meron Mendel kommentiert ironisch, woraufhin sich Frau Assmann mit einem eigenen, konfrontativ gegen Mendel gerichteten Tweet äußert, mit dem sie die Behauptungen des Fakeaccounts unterstützt. Mirjam Mendel äußert sich deshalb abfällig über Frau Assmann, die von Croitoru nicht als Unterstützer eines Antisemiten, sondern als „Kritikerin der israelischen Besatzung“ dargestellt wird, woraufhin er Fischer unterstellt, sich gegenüber Frau Assmann antisemitisch geäußert zu haben, obwohl der dazu notwendige Kontext nicht gegeben ist.

Ein Resümee kann ich mir ersparen, die Tweets sprechen für sich.

Die Beweise des Dominic J.

Am 03.05.2020 schrieb Dominic Johnson in der taz:

Wären die Antisemitismusvorwürfe gegen Mbembe seriös, wären sie erhoben worden, als die fraglichen Texte erschienen. Wurden sie aber nicht. Mbembe wurde in Deutschland ernst genommen, gefeiert und mit Preisen überschüttet. Sein Ruhm verlieh der Forderung nach Aufarbeiten der Kolonialgeschichte intellektuelle Akzeptanz. Teile der Politik aber tun sich damit weiterhin schwer, von der Anerkennung des Völkermords an den Herero und dem Umgang mit geraubten Kulturgütern bis zur Verteidigung des Kolonialismus durch den Afrikabeauftragten Günter Nooke. Ihnen hilft eine Schmutzkampagne gegen Mbembe. Der Kampf gegen Antisemitismus wird dafür missbraucht, eine weltweit anerkannte antikoloniale Stimme aus Afrika auszuschalten.

Quelle: https://taz.de/Debatte-um-Achille-Mbembe/!5679782/

Den Ton hatte Achille Mbembe selbst vorgegeben, und Dominic J. versteigt sich in die These Wären die Antisemitismusvorwürfe gegen Mbembe seriös, wären sie erhoben worden, als die fraglichen Texte erschienen. Dass niemand Krach schlug, als die einschlägigen Texte veröffentlicht wurden, könnte durchaus andere Gründe haben, als Dominic J. hier in einem Fehlschluss nahelegt. Vorwürfe werden erhoben, wenn Tatsachen bekannt werden und diejenigen erreichen, die deren Brisanz erkennen: Die Leiche im Keller wird erst dann für den Kellereigentümer kritisch, wenn die Polizei von ihr erfährt. Die Frage lautet also nicht, warum die Polizei erst nach Jahren kommt, sie lautet, warum die vielen Freunde und Kellerbesucher die Leiche übersehen haben.

Da aber nach Johnson an den Antisemitismusvorwürfen nichts dran sein kann, muss er die kritischen Textstellen nicht würdigen, sondern kann direkt eine Verschwörung behaupten. Es ist nicht so ganz klar, was Günter Nooke mit Achille Mbembe zu tun hat, schließlich hat sich Nooke nicht geäußert, aber man kann ja mal was zusammenschreiben am 03. Mai.

Und dann kommt der 22. Mai, und Dominic J. wird endlich fündig, nachdem ein Twitterbuddy Google bedient hat: Final Proof, eine Aussage so dicht, dass man gleich einen Film mit diesem Titel drehen möchte. Der könnte von einem Journalisten handeln, der eine von Politikern angeführte Verschwörung erfindet und über Twitter und eine Google-Bedienung einen Beteiligten identifiziert, der leider kein Politiker ist. Und damit ist die Lust auf’s Filmdrehen wieder verflogen.

Auch wenn der Thread im ersten Tweet durchaus erfolgreich klingt, ist die Bedienung einer Suchmaschine nicht jedermanns Sache.

Ein wirrer Vorwurf gegen Alan Posener: „… he denies that ending Nazi rule in Germany was a liberation.“

Sicher: Die extreme Rechte hat ihre Erinnerungsorte, und dazu gehört, dass das anglo-amerikanische Moral Bombing der „Holocaust an den Deutschen“ sei, dass der 2. Weltkrieg dem NS-Regime von außen aufgezwungen worden sei, und dass der Sieg der Alliierten als deutsche Niederlage betrachtet werden muss. Dieser Einschätzung widersprach Richard Weizsäcker 1985, und damit etablierte sich die Überzeugung, dass die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches am 08. Mai 1945 auch für die Deutschen eine Befreiung war.

Aber natürlich ist der Wechsel des Narrativs nicht ohne Nebenwirkungen zu haben War das Betrauern der deutschen Niederlage mit der Selbstviktimisierung der Deutschen als Opfer der Alliierten verbunden, droht heute die Selbstviktimisierung der Deutschen als Opfer des Nationalsozialismus.

Und natürlich gibt es nicht-deutsche Sichtweisen. Der VE Day ist der Victory in Europe Tag, der von US-Amerikanern, Briten, Franzosen, Kanadiern und anderen gefeiert wird; er brachte 1945 500.000 Menschen auf dem Times Square zusammen. Weizsäckers Befreiung ist eine metaphorische, denn der 08.05.1945 ist zweifellos der Tag der deutschen Niederlage. Die Niederlage beendete ein mörderisches Regime, dem nur wenige Deutsche Widerstand entgegen setzten, er führte zur Entstehung der DDR auf em Gebiet der sowjetischen Besatzungszone, während die westlichen Alliierten den Aufbau einer stabilen Demokratie in ihren Zonen ermöglichten.

Der Vater von Alan Posener war deutscher Jude, der in der britischen Armee gegen die NS-Diktatur kämpfte. Es ist nahe liegend, dass er den VE Day feiert. Was der taz-Redakteur hier nahelegt, ist die Vermutung, Posener vertrete die Ansichten der extremen Rechten, und ja, Ideologie verblendet.

Zur Problematik des Begriffs Befreiung:

Die Karte

Ein Mbembe-Verteidiger retweetet diese Mitteilung.

Der komplette Thread sieht so aus.

Zunächst: Es geht um die Spätantike, wikipedia schreibt zur zeitlichen Bestimmung: Precise boundaries for the period are a continuing matter of debate, but Brown proposes a period between the 3rd and 8th centuries AD. Generally, it can be thought of as from the end of the Roman Empire’s Crisis of the Third Century (235–284) to the early Muslim conquests in the mid-7th century East, or as roughly contemporary with the Sasanian Empire (224–651). In the West its end was earlier, with the start of the Early Middle Ages typically placed in the 6th century, or earlier on the edges of the Western Roman Empire1.

Dann geht es um eine Kirche im jordanischen Madaba, und ein Mosaik, das eine Landkarte darstellt. Es befindet sich in der Sankt-Georgs-Kirche und stellt tatsächlich die erste bekannte Landkarte Palästinas dar, und stammt aus der Spätantike.

Aufgrund der angebildeten und beschrifteten Bauwerke lässt sich der Ursprung des Mosaiks zeitlich eingrenzen:

„Die Mosaikkarte von Madaba zeigt in Jerusalem die Nea-Kirche, die am 20. November 542 geweiht wurde. In Jerusalem nach 570 errichtete Bauwerke fehlen in der Mosaikdarstellung, so dass die Entstehung der Karte auf den Zeitraum von 542 bis 570 eingegrenzt werden kann. Das Mosaik wurde von unbekannten Künstlern geschaffen – wahrscheinlich im Auftrag der christlichen Gemeinde der Stadt Madaba, die in christlich-oströmischer Zeit Bischofssitz war. Die Karte verzeichnet wichtige christliche Pilgerstätten auf beiden Seiten des Jordan.“

Nun heißt es aber im ersten Tweet, das Mosaik sei 2.500 Jahre alt: „…looking at this 2500-year-old mosaic“, womit belegt werden soll, dass der Name Palästina für das Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer bereits 500 Jahre vor der Zeitrechnung bekannt war. Der Nachweis befinde sich im abgebildeten Buch von Nur Masalha mit dem Titel „Palestine: A Four Thousand Year History“2.

Bereits der Titel weist auf das Bestreben palästinensischer Akteure hin, eine mehrtausendjährige Geschichte des palästinensischen Volkes zu behaupten, die an Stelle der jüdischen Geschichte gesetzt wird. Im Vorwort des Buches findet sich dann auch folgende Erklärung zum Werk:

„It also seeks to demonstrate how the name Palestine' was most commonly and formally used in ancient history. It argues that the legend of theIsraelites‘ conquest of Cana’an‘ and other master narratives of the Old Testament (or `Hebrew Bible‘) — a library of books built up across several centuries — are myth-narratives designed to underpin false consciousness, not evidence-based history which promotes truth and understanding. It further argues that academic and school history curricula should be based on contextualised historical facts, empirical evidence, archaeological and scientific discoveries, not on conventional opinions or the fictional narratives of the Old Testament and religio-political dogmas repeatedly reproduced in the interest of powerful elites.“

In der deutschen Übersetzung:

„Außerdem soll gezeigt werden, wie der Name „Palästina“ in der antiken Geschichte am häufigsten und formellsten verwendet wurde. Sie argumentiert, dass die Legende von der Eroberung Kanaans durch die „Israeliten“ und andere meisterhafte Erzählungen des Alten Testaments (oder der „Hebräischen Bibel“) – einer Bibliothek von Büchern, die über mehrere Jahrhunderte hinweg aufgebaut wurde – Mythenerzählungen sind, die dazu bestimmt sind, ein falsches Bewusstsein zu untermauern, und keine evidenzbasierte Geschichte, die Wahrheit und Verständnis fördert. Ferner wird argumentiert, dass akademische und schulische Geschichtslehrpläne auf kontextualisierten historischen Fakten, empirischen Beweisen, archäologischen und wissenschaftlichen Entdeckungen basieren sollten und nicht auf konventionellen Meinungen oder den fiktiven Erzählungen des Alten Testaments und religiös-politischen Dogmen, die wiederholt im Interesse der Machteliten reproduziert werden.“

Natürlich kann man die Hebräische Bibel und ihre Erzählungen kritisch würdigen. Dass die Existenz der Israeliten, des Volkes Israel, im Gelobten Land ein Mythos sei, ist eine Behauptung, zu der man sich erst einmal durchringen muss, weil die Wissenschaft diesen Schluss nicht zulässt. Und mit dem Schwadronieren von der Machtelite kommt ein verschwörungsideologisches Moment hinzu.

In der originellen Monographie selbst wird die Karte von Madaba immer korrekt auf das sechste Jahrhundert datiert. Es ist keine Rede davon, dass das Mosaik 2.500 Jahre alt ist, aber sicher kann man sich mal um 1.000 Jahre vertun.

Und natürlich gab es Zeiten in der Antike, in der ein Teil des heute Palästina genannten Gebietes, zu dem auch Jordanien gehört, Palästina genannt wurde. Der Begriff geht zurück auf das hebräische Wort für Philister3:

„Die Einwohner dieses Gebietes werden in den biblischen Texten hebräisch פְלִשְתִּים pelischtim, deutsch ‚Philister‘ genannt. Entsprechend hieß auch in assyrischen Schriftquellen des 8. Jahrhunderts v. Chr. das Gebiet des heutigen Gazastreifens bis nach Aschkelon „Palastu“.“

Unter der römischen Besatzung wurde die Provinz Judäa genannt. Nach den Auseinandersetzungen mit den Römern, die zur Zerstörung Jerusalems und des zweiten Tempels im Jahr 70 und zum Bar Kochba-Aufstand 132-135 führten, wurde die Provinz in Syria Palaestina umbenannt:

„Sein [Kaiser Hadrian] Wunsch war es, dass Jerusalem und Judäa für immer vergessen würden.“4

Und in diesem Wunsch scheinen sich Hadrian und Nur Masalha über die Jahrtausende zu treffen. Flavius Josefus Aufzeichnungen wären dann eine Finte der Machteliten, und alles, was die Römer in Jerusalem geraubt und in Rom triumphierend herumgetragen und verbaut haben, wären nur ein weiterer Fake.

Schätze aus dem Jerusalemer Tempel, darunter auch die Menora, werden nach der Belagerung und Zerstörung Jerusalems im Römischen Triumphzug nach Rom gebracht (Darstellung auf der Innenseite des Titusbogens in Rom)
Von Dnalor 01 – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=32425849
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6misches_Pal%C3%A4stina

  1. https://en.wikipedia.org/wiki/Late_antiquity  

  2. https://www.amazon.de/Palestine-Four-Thousand-History-English-ebook/dp/B07F3M2HZY/ref=sr_1_1?__mk_de_DE  

  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Pal%C3%A4stina_(Region)  

  4. https://de.wikipedia.org/wiki/Pal%C3%A4stina_(Region)